Ein Frühling irrer Hoffnung

Ein Frühling irrer Hoffnung Cover

SISYFOS FRÜHLING MORGEN

Es rauscht

Kein Wind kein Wasser
Das Signal ist im Ohr
Unwiderstehlich

Dann
die ersten Töne aus Grau
Farben Dämmer
Schlaf verweht
Der Berg ahnt Sonne
Langsam ergrünt der Fels
Kirschblüten Gelichter weiß rot

Geweckte Hände und Füße
Die Lust streckt sich zum Gipfel
Das Herz schlägt Flammen
Entzündet das Land

Bleibt der Brocken wieder nicht oben
schleifen wir diesmal den Berg

Inhalt

Der Leser wird in die bayerische Landeshauptstadt geführt, die von Studentenunruhen, Demonstrationen der APO gegen die Notstandsgesetze und Theaterquerelen beherrscht ist. Wir schreiben das Jahr 1968, Ostern. Viktor Bliss ist soeben von Wolfgang Abendroth in Marburg promoviert worden und seiner Frau Lena, die als Gewandmeisterin an den Kammerspielen für Peter Stein arbeitet, nachgereist. Plötzlich stehen beide mitten im hektischen politischen Geschehen, sind gezwungen, Farbe zu bekennen und sich zu engagieren. (…) Was tun? Vor allem aber wo und mit wem? Die alte KPD ist dabei, sich unter neuem Namen als DKP wieder zu formieren, doch es drohen schon wieder erbitterte Richtungskämpfe (…). Man ahnt bereits hier schon die heillosen späteren Verwicklungen.

Werner Jung 2011

Biographie und Zeitroman

Das revolutionäre Jahr 1968 traf den 37jährigen in München. Seine Frau Christiane Bruhn war Schauspielerin an den Münchener Kammer­spielen, und er selbst half als Autor dem jungen und seinerzeit revolutio­nären Regisseur Peter Stein, Weiss‘ »Vietnam-Diskurs« auf die Bühne zu bringen. Zum Ensemble gehörte Bretterprominenz wie Hans Clarin, Therese Giehse, Heinz Schubert und der damals 27jährige Bruno Ganz. Neben den Proben und dem Schicksal eines bitterarmen Volkes, das den Aufstand gegen eine bis an die Zähne bewaff­nete Supermacht gewagt hatte, bewegte die Mimen eine große gefühlte Gefahr: die von der Regierung Kiesinger-Brandt geplanten Notstands­gesetze, die in ihren Augen die demokratischen Garantien des Grund­gesetzes bedrohten. Auf vielen Demo-Transparenten wurden sie als „NS-Gesetze“ abgekürzt. Die Schauspie­lerin­nen und -ler diskutierten einen noch nie dagewesenen Akt des Aufstands: Schöfer war es, der vorschlug, eine Aufführung zu unterbrechen und auf der Bühne eine Protestresolution zu verlesen – unter Bruch des heiligen Bühnengesetzes „The show must go on“. Es war eine heiße Debatte mit mehreren Wendungen, die Schöfer in seinem 2001 erschienenen Zeitroman „Ein Frühling irrer Hoffnung“ so lebendig festgehalten und gestaltet hat, dass man beim Lesen die Stimmen der Protagonisten aus verschiedenen Ecken des Raumes zu hören glaubt und ihren blauen Zigarettenrauch in der Nase spürt. Schöfer beherrscht in solchen Szenen eine Art literarische Surround-Technik. Die Münchener Avantgarde fühlte sich dabei den vietnamesischen Befreiungskämpferinnen und -kämpfern verpflichtet, deren fiktive Gestalten Inhalt ihrer Arbeit war; das wird in der Geste deutlich, dass sie nach der Aufführung am Theaterausgang standen und die dem wohlver­dienten Weine zustrebenden bayerischen Bildungsbürgerinnen und -bürger zu Spenden für Waffenkäufe des »Vietcong« aufriefen. Intendant August Everding war über die erste Spiel­unter­­brechung auf einer westdeutschen Bühne erbost genug, doch der eigentliche Skandal war die Spenden­samm­lung, die Springers rotes Hetzblatt mit genießeri­schem Schauer als kommuni­stischen Putschversuch mitten in München brandmarkte. Everding feuerte Stein und mit ihm auch Schöfers damalige Frau Christiane Bruhn.

Verfolgt man das Geschehen in Schöfers Roman weiter, kommt hier der Moment, wo er weit über Weiss hinausgeht: Seine Figuren, der Historiker und Dramaturg Viktor Bliss und die Kostümbildnerin Lena Bliss, sind zwar auch Linsen und Reflektoren für widerständiges Gedankengut, aber vor allem Menschen aus Fleisch und Blut, aus Liebe und Hass, aus Hoffnung und Verzweiflung. Szenen einer Ehe lösen die Szenen einer Revolte ab. Die Trennung von Viktor und Lena ist eine Tragödie, von der sich der Mann bis in den vierten Band hinein nicht mehr erholt…

Schöfer gründete 1969, zunächst noch im Rahmen der von Fritz Hüser geleiteten Dortmunder »Gruppe 61« und unterstützt von Günter Wallraff, den Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. Er fand es ein Unding, dass man die Heldinnen und Helden der allermeisten deutschen Romane fast nie bei der Arbeit zu sehen bekam, und dass Arbeiterinnen und -ter in Westdeutsch­land so gut wie keine Bücher veröffentlichten. Beides wollte der Werkkreis ändern. (…)

In seiner Tetralogie spiegelt sich dieser Zugriff Schöfers in der dritten Hauptfigur Manfred Anklam: ein sozialistisch engagierter Werkzeugmacher, Betriebsrat in einem Düsseldorfer Röhrenwerk, ein Mann mit zupackender Gestik, sonnigem Gemüt und feiner literarischer Bildung. Was er an dem notorischen Trauerkloß und Bedenkenträger Viktor Bliss findet, bleibt etwas unklar; die beiden haben sich am 2. Juni 1967 bei der legendären Anti-Schah-Demo in Berlin kennen gelernt (Schöfer war tatsächlich dabei), freunden sich an, Manfred besucht Viktor in München, es ist gerade Ostern, und beide geraten nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke in die Straßenkämpfe vor dem Springer-Druckhaus. Manfred wird durch einen Steinwurf am Kopf verletzt, darf sich bei Viktor und Lena auskurieren, der Arbeiter und der Intellektuelle werden Blutsbrüder. ..

Jens Jürgen Korff 2021

Ausgabe 2018

Die komplette Tetralogie mit Begleitband (erläuterndes Sach- und Personenregister), Paperback, 2310 Seiten, Weilerswist (Velbrück/Dittrich) 2018, ISBN 9783947373239, € 39,90