Der Autor

(fast) transparent

Ich bin gefragt worden: Was heißt engagiertes Schreiben heute?

Gibt es Schreiben, sofern von dieser Tätigkeit als Kunstform die Rede sein soll, anders als durch das Engagement des oder der Schreibenden? Mit Sicherheit gibt es Hunderte von Aussagen der so Tätigen, dass künstlerisches Schreiben das Aufsspielsetzen der eignen Sicherheit, wenn nicht der Existenz bedeutet, voraussetzt, bewirkt. Mindestens: Hingabe.

Stenogramm meines Lebens

1931 von einer Berliner Lehrerin geboren, die malte, ritt und Motorrad fuhr, aber ihr uneheliches Kind in der Mark Brandenburg zur Welt bringen und ein Jahr in einem Heim vor den Menschen verstecken musste. Aufgewachsen in der Wohnung des Großvaters und Kaiserlichen Rechnungsrates a. D. Wilhelm Schöfer im bürgerlichen Berliner Westen, geschlafen in einer Kammer mit zwölf Steifftieren und einem halben Quadratmeter Himmel, die Mutter nachts weinen gehört, befreundet mit dem Sohn eines Feuerwehrmannes, die Synagogen brennen gesehn.

Kinderlähmung mit 8, der erste Reiseroman im Schreibheft mit 9, Muttipimpf mit 10, die Mutter an ein Furunkel verloren mit 11, mit der Schule ins eroberte Polen mit 12, keine Antwort auf die Fragen nach dem „gestorbenen” Vater mit 13, Hoffnung auf die Geheimwaffen des Führers bis 14. Im letzten Kriegswinter die Steifftiere im Ofen verbrannt.

1945 Nescafé für die Großmutter von den Amis gebettelt in einem hessischen Dorf, fromm konfirmiert in einer Burgkirche, auf Fotos britische Bulldozer vor den Leichenbergen im Kazet Bergen-Belsen gesehen, eine kommunistische Jüdin mit Kazet-Narben in der Berliner Wohnung getroffen. Abitur am Tag nach dem Tod der Großmutter mit 18, eine Wiege gebaut für die Tochter und zwanzigjährig eine freiwillige Ehe mit Cornelie. Getränkt mit der Ideologie des Freien Berlin und der Freien Universität.

Vier Jahre Gedichte, Stücke, Erzählungen geschrieben für die Katz, die Kumpels, die Kinder, Windeln von zwei Mädchen gewaschen, in Philosophie kein Wort von Marx und Engels gehört, Rilke gelesen, Brecht nicht verstanden, bei Osram Lampen montiert, auf schwedischen Äckern Kartoffeln im Akkord geerntet, bei Potsdam volkseigne Kirschen geklaut, vom Postsparbuch mal fünf, mal drei, mal zwanzig Mark abgehoben.

1954 von der Uni und Ehe Berlins geflohen, drei Jahre ungelernter Achtstundentag in der Kölner Schwank-Gasgeräte GmbH, Dolmetscherschule am Abend, Gedichte an den Mond über der Kalker Chemiefabrik, zweites Studium in Köln und Bonn. 57 den Philosophieprof in der Hauptvorlesung nach dem Rapacki-Plan für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa gefragt, 58 an der Pariser Sorbonne für die Unabhängigkeit Algeriens gesprochen, 60 die sprachwissenschaftliche Doktorarbeit über Heideggers Sprache bei Leo Weisgerber und durch einen Sohn mit Marta eine zweite Ehe fertig gekriegt. Den eignen Erzeuger ausfindig gemacht, für eine Stunde gesprochen und dann nie wieder.

1962 Die Sprache Heideggers veröffentlicht und mit einem Forschungsstipendium nach Freiburg zum Sprachphilosophen Johannes Lohmann. Heidegger in der Schwarzwaldhütte nach seiner Rektoratsrede von 1933 gefragt. Ein Hörspiel über Hiroshima für den Westdeutschen Rundfunk und Liebesgedichte auf die Straße geschrieben. Einen Funkpreis bekommen und dann ein halbes Jahrhundert keinen mehr. Freier Schriftsteller geworden, für Feuilletons und Sender gearbeitet, zu Ostern marschiert, Radio DDR ein Funkstück verkauft und dann noch mehrere. Durch die Wüste usw. verfasst, mit der Freiburger Studentenbühne und Heinrich Pachl im Audimax aufgeführt, zwei Dutzend Eier der Korporierten geerntet, einen Kritiker niedergeschlagen.

Mit der Schauspielerin Christiane Bruhn und dem zweiten Sohn 1965 nach München gezogen, den Kommaclub zur Förderung progressiver und sozialistischer Literatur geleitet, drittes Studium: angefangen Kommunist zu werden. Kampftexte geschrieben und in der westdeutschen Republik vorgetragen. 68 vor Springers Druckhaus im Wasser gestanden, in Berlin unter Che und Ho und Rosa für die vietnamesische FNL über den Kudamm gelaufen, die erste Vorstellungsunterbrechung der BRD an den Münchner Kammerspielen gegen die Notstandsgesetze angeschoben.

Mit der Schauspielerin nach Köln gegangen, 69 den Werkkreis Literatur der Arbeitswelt mit Wallraff, Pachl und Ruhrpott-Kollegen aufgebaut, die proletarische Komödie Vielleicht bin ich schon morgen eine Leiche geschrieben und mit dem Dortmunder Stadttheater bei der Theater-Experimenta 71 in Frankfurt aufgeführt, zwei Jahre mit der Schauspielerin und Pachl in Köln das mobile Industrietheater Rhein-Ruhr und den Wahren Anton gemacht.

1972 nach Düsseldorf. Den Werkkreis, im Kollektiv, geleitet, seine Taschenbuchreihe aufgezogen, viertes Studium bei den Arbeitern im Revier und dem Werkkreis, den Bauern in Wyhl, den Glasmachern der Süßmuth-Hütte in Hessen, den Kommunisten mit Berufsverbot. Über sie Stücke für Theater, Fernsehen, Hörfunk geschrieben. Erzählungen von Kämpfen, Zärtlichkeit und Hoffnung veröffentlicht und Werkkreis-Bücher herausgegeben.

1980 auf Patmos ein Jahr an Hölderlin gedacht, an einem Roman gearbeitet, Fische aus der Ägäis getaucht. 1981 in Köln eine Geschichte aus Griechenland vorgezeigt, die Wiege für die Älteste restauriert, mit vier schönen Kindern den 50. Geburtstag gefeiert und das Gefühl gehabt: eigentlich gehts jetzt erst los.

Mit diesem Mut fünf Jahre lang vergeblich den Roman weitergeschrieben und ihn 1986 als Tod in Athen in einem armen Verlag doch noch veröffentlicht.

Den unfasslichen Mord an einem Mädchen erlebt und seine Mutter aus ihrem Elend geliebt.

Den kleinen westdeutschen und den mächtigen sowjetischen Kommunismus versinken gesehn, mit Paula Keller Gespräche mit selbst denkenden Linken über die Gründe ihrer Parteiaustritte geführt und 1989 wirkungslos veröffentlicht. Den Sturz der DDR durch ihre Bevölkerung als Niederlage des Sozialismus aber Wiederherstellung der Heimat zwiespältig erlebt. Endlich verstanden, dass Schriftsteller in kein Parteistatut passen.

1990 die späte Hauptaufgabe entdeckt: Chronist zu sein der Rebellen dieses Landes als Zeitgenossen des eignen Lebens, was hieß, zum ersten Roman noch drei weitere als Tetralogie Die Kinder des Sisyfos fünfzehn Jahre lang zu schreiben und den Freund Volker Dittrich als Verleger zu erkennen.

Im neuen Jahrtausend aus den vier Romanen im ganzen Land vorgelesen. Im saarländischen Merzig 2008 den Gustav-Regler-Preis als Wunder empfangen und 2010 das Zunftbuch Der gläserne Dichter ans Licht gebracht. 2011 im Kölner Literaturhaus den achtzigsten Geburtstag mit vielen Kindern und Kölnern und dem sterbenskranken Pachl ganz lebensliterarisch gefeiert.

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