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„Ästhetik des Widerstands“ in Zeiten der Klimakatastrophe

Die Jenaer Autorin Annette Schlemm hat Peter Weiß‘ dreibändigen Zeitroman „Die Ästhetik des Widerstands“ (1975-1983) erneut gelesen und veröffentlichte im Mai 2023 in ihrem „Philosophiestübchen“ eine Rezension. Sie berührt darin viele Gedanken von und über Weiß‘ großes Werk, die auch die „Kinder des Sisyfos“ betreffen, und versucht, Weiß‘ Erkenntnisse über die antifaschistische Widerstandsgeschichte der 1930er und 1940er Jahre für die Einschätzung heutiger Kämpfe gegen die Klimakatastrophe nutzbar zu machen.

Ein paar Zitate:

Man versteht, dass und warum diese Leute [kommunistische und linkssozialistische Widerstandskämpfer] ihr Leben in den Dienst des Sieges der Unterdrückten gestellt haben, ohne für sich selber etwas zu erwarten oder zu fordern. Dieses „sich der Sache unterwerfen“ wurde später nur noch als nicht zu rechtfertigende Unterwerfung bewertet, auch von mir. Was ich auf jeden Fall hier lernen kann, ist, dass es keine abstrakten Urteile/Verurteilungen geben darf. Dass die konkrete historische Situation jeweils eine konkret darauf angepasste begründete Handlungen erfordert, kein abstraktes Besserwissen vom „hohen Ross“ aus – im schlimmsten Fall noch von denen, die praktisch kaum einen Finger krümmen.

Kultur ist nach Peter Weiß nicht nur schöner Zierat, sondern ein wichtiger Faktor, uns selbst zu verändern, denn für seine Zeit stand die Frage: „Wie aber soll die Befreiung von uns selbst ausgehn, wie sollen die Umwälzungen vollzogen werden, wenn wir immer nur gelernt haben, uns zu fügen, uns unterzuordnen und auf Anweisungen zu warten?“ (I, 226f.) Heute müssten wir fragen: „Wie aber soll die Befreiung von uns selbst ausgehn, …, wenn wir immer nur gelernt haben, individualistisch auf jeweils mich zu schauen, wenn nur ich und die Anerkennung gerade meiner Besonderheit mir wichtig ist und ich jedes Zusammengehen in Frage stelle, sobald ganz genau meine Bedürfnisse da nicht mehr erfüllt werden?“

Heute stellt sich die Frage [zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten] wieder in Bezug auf die Öko- und Klimafrage: IM Kapitalismus versuchen oder geht’s doch nur GEGEN ihn?

Tief führt uns dieser Weg in die Erfahrung, dass Friedfertigkeit zwar löblich sein mag, aber den täglichen Verbrechen der Herrschenden kein Ende setzen kann. „Denn wären die Arbeiter auch zum friedfertigen Weg zur sozialen Gerechtigkeit bereit, die Besitzer der Produktionsmittel wären es nie. […] Unternahmen die Arbeitenden auch nur den geringsten Schritt über das Zugelassne hinaus, stellen sie ihre Forderungen in einem Ton, der die Unterwürfigkeit vermissen ließ, der einer Drohung gleichkam, schon reihten sich vor ihnen die Streitkräfte der Herrschenden auf, und dort wurde nie mit den Salven gespart“ (I,145). Weg mag sich, mit diesen Erfahrungen in Kopf und Herz, noch wundern über die Härte auch der Arbeiterführer?

Heute sind die meisten der Fridays for Future-Demonstranten wieder brav in der Schule, nur eine Handvoll Aktivisten zerstreuen sich in die wieder vorhandenen Extreme der einerseits radikalen Aktionen („Klima-Kleber“) und andererseits jener, die den langen Marsch durch die Institutionen der Stadträte und Parlamente zugunsten geringfügigster klimapolitischen Verbesserungen antreten. Weiß schreibt: „Und eben in dem Unvermögen der Menschen, sich seine eigene Auslöschung vorzustellen, fand der Faschismus seine Voraussetzung.“ (II, 118). Umso mehr findet auch die ökologische und Klimakatastrophe darin ihre Voraussetzung und ihre wahrscheinlich barbarischen Verlaufsformen auf sozialem Gebiet.

Nur humanistische Werte, so schreibt Weiß an anderer Stelle, hätten sich „im enttäuschenden, desillusionierenden, verbitternden, aufreibenden Kampf“ (II, 278) als haltbar erwiesen. Auch in ihrem Scheitern zeigt sich letztlich: „Es sei in uns ein neuer Menschentyp angelegt, zu dem hätte ich mich zu bekennen…“ (III, 46). In uns darf das Vernichtende nicht eindringen, indem es uns alles als sinnlos erscheinen lässt! (ebd.: 49). In dem Widerstand, der der Vernichtung immer noch trotzt, zeige sich „eine Lebenskraft, die sich nicht vernichten“ lässt (III, 184). Solange der letzte auf dem Rettungsfloß der Medusa [sich] noch aufrichtet.

Annette Schlemm: Wieder gelesen: Die „Ästhetik des Widerstands“ (Mai 2023)

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